PAUL SCHRADER


26. März 2020


Seine großformatigen, oft farbenfrohen Bilder sind aus der Kunstszene nicht mehr wegzudenken. Wir reden von Paul Schrader (39), dem sympathischen Hamburger Künstler, der seinen Job als Rechtsanwalt Anfang 2019 an den Nagel hing, um in Vollzeit in der Kunstwelt durchzustarten. Wir sprachen in seinem wunderschönen Hamburger Atelier über die Bedeutung von Kunst, Kindheitsträume und Inspiration.
 
Was wolltest du als Kind werden?

 

Pilot! Ich fand die Atmosphäre am Flughafen immer so schön. Das Reisen und Aufbrechen der Menschen dort haben mich inspiriert. Und dieser Blick über die Wattewolken … Das ist wohl das Schönste, was man als Pilot haben kann. Dazu das immer gute Wetter und die Sterne. Das Verträumte daran hat mich sehr gereizt.

 

Hast du diesen Berufswunsch denn auch als Erwachsener verfolgt?

 

Ich habe nach dem Abi tatsächlich einen Test bei der Lufthansa gemacht und diesen auch bestanden. Allerdings hatte ich dann zu viele Punkte in Flensburg … 

 

Mist!

 

Ja. Ich hätte ganze vier Jahre warten müssen, bis die Punkte verfallen wären. 

 

Und dann?

 

Dann ist es Jura geworden.

 

Was ja auch nicht das Schlechteste ist.

 

Das stimmt!

 

Aber nochmal zurück zur Schule. Welches war dort dein Lieblingsfach? 

 

Ganz klar: Kunst.

 

Die Liebe zur Kunst hat sich also schon früh gezeigt?

 

Ich wusste schon immer, dass das Meins ist. Ich weiß sogar noch, als wir damals mit der Schule in der Paul Klee Ausstellung in der Kunsthalle waren, in der vierten oder fünften Klasse, oder so. Dort wurden wir herumgeführt und durften anschließend malen. Dann haben wir Kinder gefragt, ob unsere Bilder denn auch mal so berühmt werden, wie diejenigen, die dort an den Wänden hängen. Da haben die Erwachsenen natürlich gelacht. Ich finde es spannend, wie der Kunst von Kindern so wenig Wert zugesprochen wird, zumal diese eigentlich gar nicht weniger wertvoll ist, als die von Erwachsenen. Dieser Unterschied wird einzig und allein von der Gesellschaft gemacht. Wobei Kinder natürlich, rein technisch gesehen, noch nicht so „gut“ malen können.

 

Das führt mich direkt zur nächsten Frage. Was ist für dich gute Kunst? Kann man das überhaupt genau sagen?

 

Darüber was Kunst eigentlich ist, denke ich Tage und auch Nächte lang nach. Und was gute Kunst ist, das ist noch deutlich schwieriger zu definieren. Für mich persönlich ist gute Kunst, wenn der Künstler mit Leidenschaft arbeitet und man diese als Betrachter im Bild sehen kann. Dann ist es auch egal, was für ein Stil, was für eine Epoche, was für eine Richtung es ist. Man merkt dann einfach, mit wie viel Engagement oder Liebe zum Detail jemand etwas kreiert hat und das spiegelt sich im Kunstwerk. Diese Leidenschaft wird lange Zeit über das Bild transportiert, es wird zu etwas zeitlosem. 

 

Welche Rolle hat deiner Meinung nach Kunst heutzutage? Soll sie inspirieren, herausfordern, einen Dialog fördern oder vielleicht etwas ganz anderes?

 

Ich finde, dass Kunst zwei grobe Richtungen hat: das Konzeptionelle und das Sinnliche. Das Konzeptionelle versucht ja immer, dem Betrachter etwas zu erklären. Das Kunstwerk oder die Skulptur soll nicht nur optisch wirken, sondern auch intellektuell etwas im Betrachter auslösen. Bei dem Sinnlichen versucht man hingegen, genau wie bei einer Melodie, die Sinne und die Gefühlsebene zu treffen, ohne dass dort eine intellektuelle Komponente oder ein besonderes Story-Telling dahinterstecken muss. Man kann nicht mit technischen Begriffen erklären, weshalb eine Melodie einen anspricht. Und für mich ist es bei Kunst genauso: Sie berührt einen, oder eben nicht. Das Schönste, was man als Künstler schaffen kann ist es, dass jemand stehenbleibt, nicht um die Erklärung zum Kunstwerk zu kriegen, sondern einfach weil es ihn berührt hat. 

 

Woher nimmst du die Inspiration für deine Bilder?

 

Aus inneren Bildwelten, die ich sehe. Diese sind ein wenig wie Traumkollagen aus Farben. Ich stelle mir Farbwelten und Kombinationen vor, die sich in meinem Kopf zu einem Bild zusammenfügen. 

 

Meditierst du, um in diese Farbwelten zu kommen?

 

Nein, sie sind einfach da. Ich habe die weiße Leinwand vor mir und weiß genau, was dort entstehen soll. Manchmal ist es dunkel, manchmal eher hell und pastellig. Vielleicht habe ich tagelang sehr viel Farbe gesehen, dann wird es ganz zurückgenommen und gedeckt. Danach kommt womöglich eine Phase, in der ich wiederum total Lust auf starke Farben habe. Wie bei der Musik auch: Manchmal hat man eben Lust auf Klassik und freitagabends dann auf etwas, das ein wenig mehr „outgoing“ ist.

 

Also spiegelt deine Kunst auch immer deinen Gemütszustand wider?

 

Total! 

 

Gibt es einen besonderen Künstler, an dem du dich orientierst oder der dich besonders stark beeinflusst hat?

 

Ich gehe sehr viel in Museen und Ausstellungen und nehme alles an Inspiration mit, was ich kriegen kann. Das war schon immer so. Mit meiner Oma war ich früher oft in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel. Das ist mein absolutes Lieblingsmuseum, weil es unglaublich schön gebaut ist und dort immer wunderbare Ausstellungen stattfinden. Und wenn man viel in Museen geht ist klar, dass man auch mit vielen verschiedenen Künstlern in Berührung kommt. Sam Francis ist zum Beispiel einer, den ich unfassbar gerne mag. Ich habe das Gefühl, dass er immer im Schatten von Jackson Pollock stand, obwohl er, zumindest aus meiner Sicht, eigentlich spannender ist als Pollock.

 

Warum?

 

Wegen der Gefühlswelt, die er kreiert. Er trifft einen besonderen Punkt, der einen in seinen Bildern versinken lässt. 

 

Er zieht dich also in seinen Bann?

 

Absolut! Ich hätte nichts lieber an der Wand als einen Sam Francis.

 

Du bist ja sehr viel unterwegs. Was ist ein Ort, der dich in letzter Zeit so richtig geflashed hat?

 

Los Angeles fand ich bei meinem letzten Besuch wirklich außergewöhnlich. Besonders The Broad Museum ist krass. Die Stadt ist zwar riesig, sodass man immer mit dem Auto unterwegs ist, aber dafür ist sie auch ultra facettenreich. Und das Licht dort ist der Hammer! Das war eindeutig eines der schönsten Erlebnisse im letzten Jahr. Die Art Basel finde ich auch immer super, weil man dort so viele alte Meister neben neuen Künstlern auf einem Flecken Erde findet, wie sonst nirgendwo. Diese unglaubliche Vielfalt kann kein Museum der Welt bieten. Dort kann man sich problemlos drei, vier Tage treiben lassen und Inspiration tanken.

 

Hast du eigentlich eine Vision für deine Kunst? Gibt es ein konkretes Ziel, das du damit erreichen möchtest? 

 

Ich arbeite jeden Tag daran, meine Kunst zu formen, aber es gibt keinen wirklichen Endpunkt. Ich stelle mir meine Arbeit eigentlich so vor, wie eine Quelle, die sprudelt. Deshalb macht es mir nicht allzu viel aus, Bilder zu verkaufen. Ich trenne mich zwar ungern von ihnen, aber ich weiß, dass ich nicht alle behalten kann. Ich hoffe, dass die Quelle der Kreativität nicht versiegt und dass es so ist, wie beim Schwimmen oder Fahrradfahren. Das verlernt man halt nie! Ich finde es gut, wenn immer wieder eine weiße Leinwand da ist und man sie neu füllen kann. Wenn eine Serie funktioniert ist das schön und gut, aber damit zu brechen und etwas Neues zu wagen ist das eigentliche Ziel. Es wird nie fertig oder komplett sein und man wird nie ankommen, aber genau das ist das Schöne daran. 

 

Verbindest du Kreativität mit Druck? Oder bist du in dieser Hinsicht eher gelassen?

 

Die schönste Vorstellung ist, dass man zehn oder zwölf Bilder hat und dann eine Ausstellung plant, zumindest ist es in einer optimalen Welt so. In der Realität sieht es oft anders aus, da kommen hin und wieder Angebote für Ausstellungen dazwischen, die ich nicht absagen mag. Dann entsteht plötzlich Zeitdruck, aber manchmal beflügelt mich das auch. Wenn Kreativität mit der Brechstange erzwungen wird, finde ich es nicht gut. Aber ein bisschen Druck in richtigen Dosen ist ganz gut, um seinen Arsch hochzukriegen (lacht). 

 

Kannst du dir vorstellen auch was ganz anderes zu machen, oder hast du als Künstler deinen Traumberuf gefunden?

 

Klar. Ich habe ja als Anwalt bereits etwas ganz anderes gemacht. Aber das hier ist schon mein Traumberuf. Er fühlt sich meist gar nicht wie ein Beruf an! Aber was ich schon spannend finde, sind verschiedene Side-Businesses. Die stehen zwar nicht im Fokus, aber es gibt auf jeden Fall Projekte, die mich interessieren und nichts mit Kunst zu tun haben.

 

Hast du eigentlich ein Lebensmotto oder ein Credo?

 

Nö! (lacht)


Foto links: Nicole Niewiadomski
Foto rechts: Isa Daur