ANNA WOLLENBERG
16. April 2020
Anna Wollenberg (33) ist mit Leidenschaft Architektin. In ihrem Büro, einem idyllisch gelegenen Studio direkt an der Düssel, entstehen die mutigen und zukunftsweisenden Projektentwürfe der Düsseldorferin. Von der Umnutzung einer Kirche über die Gestaltung eines hippen Burgerladens bis hin zur Neugestaltung von Büroflächen sind die unterschiedlichsten Projekte dabei. Annas Interessen sind ebenso vielseitig wie ihre Arbeit. Mehr über beides verrät sie uns in diesem Interview über Architektur, das Reisen und die Herausforderungen im Bereich New Work.
Auf deiner Website kann man lesen, du seist Weltentdeckerin, Strukturfuchs, Herzensmensch und Post-It-Organisator in einer Person. Eine spannende Mischung! Was hat es zum Beispiel mit der Weltentdeckerin auf sich?
Eine meiner größten Leidenschaften ist das Reisen. Ich bin gerne in der Welt unterwegs, das inspiriert mich am meisten. Jetzt haben mein Mann und ich in den letzten Jahren schon viele Kontinente und Länder gemeinsam erkundet. Wir sind viel mit dem Rucksack unterwegs und jedes Jahr einen Monat wo anders. Meist sind wir nicht länger als zwei Tage an einem Ort und arbeiten uns mit Bussen und Zügen quer durchs Land. Auf diese Weise entdecken wir die Welt!
Wohin ging eure letzte große Reise?
Es ging nach Kolumbien und Panama, letztes Jahr war das. Erst sind wir quer durch Kolumbien bis an die Küste gereist und dann weiter nach Panama, wo wir im San-Blas-Archipel segeln waren.
Was ist dein größtes Learning aus den vielen Reisen?
Ganz klar: geistige Flexibilität. Weil man jeden Tag seine Pläne neu stricken und sich den örtlichen Gegebenheiten und Kulturen anpassen muss. Außerdem lernt man keine Berührungsängste mit neuen Dingen zu haben und vor allem weltoffen zu sein. Diese Erkenntnis ist für mich das größte Learning, denn damit kommt man auch im Leben am weitesten. Ein bisschen Abenteuerbereitschaft gehört sicherlich auch dazu. Die bringt einen an die besten Orte …
Im Kontrast zur weltoffenen Entdeckerin steht wiederum der Strukturfuchs. Glaubst du, dass es beide Qualitäten braucht, um in deinem Beruf als Architektin erfolgreich zu sein?
Definitiv. Denn es gibt zwar in der Architektur den kreativen Part des Entwerfens, aber auch den bautechnischen Teil und den anschließenden Projektablauf. Letztere folgen eigenen Strukturen und Systematiken. Da muss man diszipliniert und strukturiert arbeiten, sonst kommt man nicht voran.
Glaubst du das beide Eigenschaften gleichermaßen wichtig sind, Kreativität und Strukturiertheit? Oder überwiegt eine der beiden?
Beides ist gleichermaßen wichtig. Es ist vor allem wichtig, Neugierde und Kreativität mit einzubringen sowie den Mut zu haben, neue Wege zu gehen. Dabei ist es die Herausforderung, sich nicht in Gewohnheiten zu verrennen und immer wieder den gleichen Mustern zu folgen. Manchmal muss man seine Projekte auch aus ganz neuen Blickwinkeln betrachten und sich die Freiheit nehmen Dinge auszuprobieren.
Welches ist dein bisheriges Lieblingsprojekt?
Puh, das ist eine wahnsinnig schwierige Frage! Es waren so viele Herzensprojekte dabei, von einem Kolumbarium, also der Umnutzung einer Kirche, über die Gestaltung der Düsseldorfer Burger-Restaurants Bob & Mary in bis hin zur Planung neuer Arbeitswelten im Businessbereich. Im letzten Jahr durfte ich die Düsseldorfer Wohnwochen zusammen mit einem Architektenteam aus dem BDA (Bund Deutscher Architekten) gestalten. Das war eine ganz wunderbare Aktion.
Du arbeitest viel für große Unternehmen und gestaltest deren Büros. Da kommt mir sofort das Thema New Work in den Sinn. Was sind deines Erachtens die neuesten Entwicklungen in diesem Bereich?
Das Thema New Work ist tatsächlich in den letzten Jahren zu meinem Steckenpferd geworden. Ich betreue mittlerweile mehrere Konzerne bei der Strategie und Planung neuer Arbeitswelten. Dort geht es oft darum, wie man das im Bereich Change-Management besprochene von der Theorie in die Praxis überträgt. In der Theorie gibt es oft spannende und auch mutige Ansätze, die aber in der Praxis nicht immer funktionieren. Wenn es in die Umsetzung geht, muss man immer ganz genau auf die Gegebenheiten des einzelnen Unternehmens schauen. Von „oben herab“ Veränderungen zu planen und dann der Belegschaft aufzuoktroyieren, funktioniert nämlich nicht, wenn sie nicht zu den tatsächlichen Bedürfnissen der Mitarbeiter passen.
Wo hapert es bei der Umsetzung neuer Ideen am meisten?
Ich glaube es scheitert einerseits oft an den Ressourcen und anderseits am Mut, geplantes auch wirklich in Gänze durchzuziehen. Oft wird am Ende dann doch wieder gespart, oder wichtige Details werden weggelassen, weil manchen Beteiligten der Blick fürs Ganzheitliche fehlt. Aber die Projekte, die in aller Konsequenz umgesetzt werden, funktionieren ganz hervorragend. Hier gibt es begeistertes Feedback von allen Seiten. Zudem verbessern sich Kommunikationsstrukturen und Arbeitsabläufe, was wiederum dazu führt, dass eine ganz neue Arbeitsqualität entsteht, die erst durch die Umgestaltung der Räumlichkeiten ermöglicht wurde.
Inwiefern beeinflusst unsere Arbeitsumgebung unsere Psyche? Gibt es Studien, die den Zusammenhang von Umgebung und Leistung belegen?
Es gibt viele Studien die belegen, dass die Umgebung, in der wir arbeiten einen enorm hohen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere Arbeitsleistung hat. Es gibt jedoch Menschen, die sehr sensibel auf ihre Umgebung reagieren, während andere einen ganz anderen Fokus der räumlichen Wahrnehmung haben. Ein jeder merkt jedoch, direkt oder indirekt, ob das Licht gut oder schlecht oder ob die Ergonomie des Arbeitsplatzes günstig oder ungünstig ist. Besonders auf die Kommunikation im Unternehmen kann die Gestaltung von Arbeitsräumen sehr stark einwirken. Und wenn diese schlecht ist, äußerst sich das schnell in Ineffizienz und Frust unter den Mitarbeitern.
Gibt es zum Thema New Work Unternehmen, die aus deiner Sicht mit gutem Beispiel vorangehen?
Eine super Benchmark ist für mich der Möbelhersteller Vitra. Die haben verstanden, dass arbeitsorientierte Themen in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen werden. Auf ihrem Campus in Weil am Rhein haben sie wunderbare Arbeitswelten geschaffen, die ein tolles Beispiel dafür sind, wie ein gelungenes Zusammenspiel aus Architektur, Innenarchitektur und Produktdesign aussehen kann. Wer Lust hat sich zu diesen Themen inspirieren zu lassen, sollte dem Campus auf jeden Fall einen Besuch abstatten.
Jetzt ist Vitra ja eine Schweizer Firma. Wie sieht es denn in Deutschland aus? Oder würdest du sagen, dass andere Länder innovativer sind, als wir?
Ja, das sind sie definitiv! Die deutsche Architektur ist eher konventionell und konservativ. Wenn man hingegen nach Skandinavien schaut, merkt man schnell, dass dort das Bauen ganz anders gedacht wird. Wir lassen uns deshalb bei vielen Projekten von Skandinavien inspirieren, weil diese Länder ganz klar Vorreiter in Sachen Architektur und Städteplanung sind. Die Planungen sind dort durchdachter, weitreichender und ganzheitlicher.
Glaubst du, dass dies auch mit dem doch sehr anderen Umgang mit sozialen Themen und Wohnungsbau in diesen Ländern hat?
Auf jeden Fall! Architektur ist dort gleichbedeutend mit dem gebauten Raum und damit auch mit dem Heimatgefühl, das man mit einem Ort verbindet. Das haben die Skandinavier früh erkannt und ich denke es trägt dazu bei, dass dort nachhaltiger geplant wird. Wenn ich ein Gebäude baue, dann baue ich immer im Kontext des Ortes, des Nutzers und der Zeit. Mit jedem Bauwerk entsteht nicht nur Raum, sondern auch ein Zwischenraum, der sich in das Gesamtgefüge des Ortes eingliedern muss.
Gibt es einen Architekten, den du als Vorbild betrachtest?
Da gibt es das Architekturbüro Atelier 5, das sind für mich ganz klar Pioniere der urbanen Architektur. Oscar Niemeyer, der brasilianische Architekt, der den Mut hatte, andere Wege zu gehen. Außerdem ist mein Städtebau-Professor, Professor Degen, ein ganz persönliches Vorbild. Er hat mir beigebracht, wie gute Grundrisse und guter Städtebau funktionieren und wie man die Besonderheiten eines Ortes erkennt, entwickelt und herausarbeitet.
Wir sind ja hier in Düsseldorf. Wie findest du die Düsseldorfer Architektur?
…
Schweigen …?
Ich sag mal so: Die alte Düsseldorfer Architektur changiert zwischen gruseligen Bauten und exzellenten Projekten. Es gibt ein wunderschönes modernes Schauspielhaus. Es gibt tolle Büros, die super schöne Projekte umsetzen und dann gibt es eben einige Entwickler, die in erster Linie profitorientiert sind, und das sieht man dem Ergebnis natürlich auch an.
Das hast du jetzt sehr diplomatisch gesagt!
Haha! Ich habe es versucht.
Architektur ist ja bis heute eine ziemlich Männerdomäne. Was glaubst du, warum das so ist? Ist es der Historie geschuldet oder gibt es da noch andere Faktoren?
Natürlich ist es auch der Historie geschuldet. Zudem ist es aber so, dass es sehr viele Frauen gibt, die zwar Architektur studieren, aber die irgendwann aus der Karriereleiter aussteigen, wenn Kinder ein Thema werden. Aber das ist ja allgemein ein Thema und nicht nur unter Architekten. Bei uns an der Uni saßen im Hörsaal über 50% Frauen, aber man findet sie dann nur selten im Berufsleben wieder, schon gar nicht in Führungspositionen. Das müsste ja so nicht sein, aber ich glaube da hinken wir gesellschaftlich noch ein wenig hinterher.
Du bist ja letzten Herbst auch Mama geworden. Wie bekommst du das mit deinem Berufsalltag unter einen Hut?
Mein Mann und ich haben uns darauf geeinigt, dass er ein Jahr Elternzeit nimmt. Somit habe ich die Gelegenheit, meinem Beruf und Leidenschaft weiterhin nachzugehen und mein Mann kümmert sich tagsüber um unseren Sohn. Ich habe aber auch das Glück, mir in meiner Selbständigkeit die Zeit derart flexibel einteilen zu können, dass ich mein Kind und meinen Mann trotzdem noch viel sehen kann. Wir verbringen viel Zeit miteinander, ohne dass Job oder Familie leidet. Das bedeutet aber ein besonders großes Maß an Organisation, man muss die Tage und Wochen schon gut strukturieren. Besonders in arbeitsintensiven Phasen oder wenn die Projekte generell anspruchsvoll sind. Es es ist und bleibt also ein Spagat. Ich bin dabei sehr froh über die Rückendeckung meines Mannes. Früher konnte ich so lange arbeiten, wie ich wollte. Jetzt warten daheim zwei Menschen auf mich und dem versuche ich natürlich, so gut es geht, gerecht zu werden.
Glaubst du, dass diese neue zeitliche Begrenzung zu deiner Produktivität beiträgt?
Total! Ich bin jetzt tatsächlich viel schneller und effizienter. Man fokussiert sich eben auf das Wesentliche, weil es nicht anders geht.
Dein Credo lautet „Leidenschaft entsteht immer dann, wenn die Phantasie die Wirklichkeit mitreißt“. Wie entsteht bei dir die notwendige Phantasie für deine Projekte? Mit anderen Worten: Wie fütterst du deine Kreativität?
Viel Inspiration bringen mir die vielen Reisen, die wir machen. Dabei lasse ich bebaute oder auch unbebaute Städte, Landschaften und Architektur auf mich wirken und ziehe daraus neue Ideen. Außerdem ist Kunst für mich schon immer eine wichtige Inspirationsquelle gewesen. Schon als Kind bin ich mit meinem Papa in alle hiesigen Ausstellungen gewandert und bis heute ist dies eine große Leidenschaft von mir. Zusammen mit der Vielfalt, die einem die Umwelt und auch die Stadt Düsseldorf an Veranstaltungen, Kultur und Austausch mit Kollegen bringt, ergibt das einen bunten Blumenstrauß an Inspiration.
Was ist das Schönste an deinem Beruf?
Das schönste daran ist es, ein Ergebnis zu sehen, andere Menschen zu inspirieren und Projekte zu realisieren, von denen alle beteiligten einen klaren Mehrwert haben. Ich finde es einfach wichtig, Werte zu schaffen und etwas zu geben.
Fotos: Anna Wollenberg